Fallbeispiel: Fisch zum Mittag

Eine Frau bittet uns auf einem Sanitätsdienst bei einer Bilderrahmentauschbörse um Hilfe, ihrem Mann geht es nicht gut. Er sitzt um die Ecke, sodass wir unser Material schnappen, und losgehen. Doch erst einmal, welche Arbeitsmaterialien nehmen wir mit? Wir könnten uns mit dem Koffer begnügen, denn da ist alles drin, was man für den Erstangriff braucht. Oder nehmen wir gar nichts mit, denn der Patient ist ca. 150 Meter von unserem San-RTW entfernt. Wir entscheiden uns hier, nichts mitzunehmen. Der Patient sitzt auf dem Boden, gibt an, dass ihm Übel sei. Außerdem habe er so ein Ziehen im Unterkiefer, aber das sei nicht so wild. Möglicherweise liege das an dem Fisch, den er zu Mittag hatte. Dieser wäre ja vielleicht nicht ganz durch gewesen. Der Patient möchte aber einfach nur nach Hause, sich aufs Sofa legen. Das würde schon gehen. Ansonsten, übermorgen ist ja Montag, und wenn es dann immer noch so ist, kann er ja zu seinem Hausarzt gehen.

Wie entscheiden wir in dieser Situation? Ist es in diesem Fall eine gute Entscheidung, den Patienten gehen zu lassen? Hier sollten wir die zwei beschriebenen Symptome kombinieren und auf eine erste Verdachtsdiagnose kommen. Was ist eine wahrscheinliche Verdachtsdiagnose, der wir nachgehen sollten?

Die beiden Symptome lassen sich in der Beschreibung des ACS (Akutes Coronarsyndrom, auch: Herzinfarkt) wieder finden. Es muss nicht immer der linke Arm sein, der weh tut. Es kann auch ohne Brustschmerz von statten gehen. Aber die beiden Warnsignale sollten uns hier veranlassen, die Untersuchung fortzusetzen. Dies sollte aber, um die nötige Ruhe zu haben, in unserm RTW geschehen. Aber: Der Patient sollte weitgehend Immobilisiert werden. Das bedeutet: Die 150 Meter sind vom Patient nicht laufend zu bestreiten. Die beste Wahl ist hier die Fahrtrage, da sich auf dieser die weiteren Untersuchungen bestens erledigen lassen. Auch wenn der Patient meint, es wird schon mit etwas Ruhe gehen, ist ihm hier die Gefahr des Herzinfarktes zu erläutern. Weglassen kann man dabei aber getrost sämtliche Statistiken, wie viele nach einem Monat, nach einem Jahr noch leben. Was man aber nicht weglassen sollte, ist, dass Lebensgefahr besteht, wenn sich der Verdacht bestätigt. Spätestens die Ehefrau kann meistens auf den Mann einwirken und ihn zur Kooperation überreden.

Wenn wir den Patienten also in unserem RTW haben, beginnen alle Untersuchungen. Zunächst sollten Blutdruck sowie Sauerstoffsättigung gemessen werden. Werte unter 94% sowie eine gefühlte Atemnot des Patienten auch über 94% sollten für uns Anlass genug sein, dem Patient Sauerstoff über eine Maske (diese immer mit mindestens 6l Sauerstoff pro Minute) zu verabreichen. Desweiteren sollte hier frühzeitig ein iV-Zugang angelegt werden (hierbei sind aber die ortsüblichen Verabredungen zwischen Organisationen und ärztlichem Leiter Rettungsdienst bezüglich Notkompetenz zu beachten). Sollte der Zugang sicher liegen, sollte hier gleich Laborblut abgenommen werden. Danach wird eine kristalloide Infusionslösung angehängt, die langsam infundieren soll. Frühzeitig ist auch ein Notarzt zu rufen. Es sollte ein EKG, wenn möglich auch ein 12-Kanal-EKG, geklebt und ausgewertet werden. Dem Patient ist hierbei beruhigend alles zu erklären, was man macht, denn er sollte möglichst ruhig bleiben. Innere Anspannung und Adrenalinausschüttung durch Stress bewirken einen höheren Sauerstoffverbrauch des Herzens, den es zu vermeiden gilt.

Um die Anfahrtszeit des Notarztes zu nutzen, kann hier bereits die SAMPLER-Anamnese abgefragt werden. Dabei sollten vor allem die Medikamente, Allergien und die Patientenvorgeschichte im Vordergrund stehen. Sollte der Patient kein ASS nehmen, kann der assistierende Sanitäter bereits eine Dosis ASS aufziehen. Auch Heparin kann bereits aufgezogen werden. Die letztliche Entscheidung, dieses zu verabreichen, liegt aber beim Notarzt. Das Glycerolnitrat („Nitrospray“) kann schon einmal aus dem Schrank bereitgelegt werden. Bis zum Eintreffen des Notarztes sollte der Patient engmaschig überwacht werden. Neben Sauerstoffsättigung, EKG und regelmäßiger Blutdruckkontrolle sollte noch die Temperatur und der Blutzuckerwert gemessen werden. Auch die Unterhaltung mit dem Patienten sollte professionell und beruhigend wirken. Man kann schon einmal den Patienten fragen, ob und in welcher Klinik er in der Umgebung bekannt ist und ihn schon einmal die Gesundheitskarte heraussuchen lassen.

Der Notarzt wird, gerade bei Übelkeit noch ein Antiemetikum, also ein Mittel gegen Übelkeit wie Vomex (Dimenhydrinat) oder MCP (Metoclopramid) geben wollen. Auch eine Gabe von Morphin und einem Betablocker wird in Erwägung gezogen.

Auch wenn der Notarzt ein eigenes Protokoll anfertigen wird, ist es wichtig, dass auch der Sanitätsdienst ein eigenes Protokoll anfertigt, damit man bei Nachfragen später etwas schriftliches in der Hand hat. Denn auch beim Sanitätsdienst gilt: Nicht dokumentiert bedeutet nicht gemacht.

Die präklinische Patientenversorgungszeit sollte unter 1 Stunde betragen, das Transportziel sollte eine Klinik mit Herzkatheterlabor sein.

Wenn wir den Patienten gut versorgt haben, und er dem Rettungsdienst bzw. der Klinik übergeben wurde, kann eine anschließende teaminterne Nachbesprechung die Motivation fördern sowie Fragen geklärt werden. Dies gehört zum Lernprozess, dem sich jeder Sanitäter öffnen sollte.

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